Der Luftverkehr nach COVID-19

Die COVID-19 Krise hat die wichtige Rolle des Luftverkehrs und der Verfügbarkeit heimischen Luftverkehrs in kritischen Situationen besonders deutlich gemacht: Wer, wenn nicht Austrian Airlines hätte tausende Österreicher schnell aus dem Ausland heimholen können? Wer sollte dringend benötigte Versorgungsgüter, Schutzanzüge, Masken, Medikamente schnell genug dorthin bringen wo sie benötigt werden, wenn nicht der Luftverkehr? Wie kommen diese Güter möglichst nah ans Ziel, wenn es nicht auch dezentrale Flughäfen gibt? Und wie sollte das alles möglich sein, wenn nicht die Fluglotsen einsatzbereit wären? Auch wenn derzeit fast alle Flugzeuge stillstehen, ist der Wert eines leistungsfähigen heimischen Luftverkehrsystems, das sofort einsatzbereit ist, plötzlich für jeden greifbar – aber leider auch allzu selbstverständlich.

Denn Europa braucht auch in der dramatischen Wirtschaftsrezession die der COVID-19 Krise unmittelbar folgen wird eine leistungsfähige Luftverkehrswirtschaft um nicht gegenüber anderen Weltregionen schnell, deutlich und womöglich dauerhaft ins wirtschaftliche Hintertreffen zu geraten. Aber gerade die europäische und damit auch die österreichische Luftverkehrswirtschaft sind in einer besonders prekären Lage.

Damit der Luftverkehr seine essentielle Rolle bei Wiederaufbau der Wirtschaft nach COVID-19 leisten kann, müssen Europa und Österreich den Luftverkehr jetzt rasch und zielgerichtet unterstützen:

  • Erstens müssen politische Belastungen des Luftverkehrs (Luftverkehrsabgaben etc.) temporär ausgesetzt und danach grundsätzlich überdacht werden;
  • Zweitens müssen längst unnötige regulatorische Kosten des Luftverkehrs, die oft wegen des technischen Fortschritts nicht mehr nötig sind, jetzt schnell abgebaut werden.
  • Drittens werden Fluggesellschaften und Flughäfen auch direkte, zielgerichtete und nicht diskriminierende finanzielle Unterstützung benötigen, wofür die EU-Regeln für Staatsbeihilfe angepasst werden müssen.
  • Viertens wird der Luftverkehr eine temporäre Ausnahme vom Kartellverbot benötigen um das europäische Luftverkehrsnetz rasch und koordiniert wieder aufzubauen.
    Das wird nicht leicht sein, denn:
  • COVID-19 überfordert die in der Vergangenheit wiederholt bewiesene Resilienz des Luftverkehrs, auf die sich viele womöglich verlassen werden. Denn COVID-19 wird nicht nur die tiefste, sondern vor allem die längste Luftfahrtkrise seit dem Zweiten Weltkrieg auslösen – siehe dazu Punkt 1.
  • Die Europäische Luftverkehrsindustrie wird stärker betroffen sein als die Luftfahrt in anderen Weltregionen – nicht weil Europa derzeit das Zentrum von COVID-19 ist. Sondern weil die anderen Weltregionen ihre Luftfahrtindustrie als wesentlichen Standortfaktor erkennen und immer schon nachdrücklicher unterstützt haben als Europa – sieh dazu Punkt 2.
  • Gerade in Europa werden populistische Thesen wonach sich in der Krise ja zeige, dass Reisefreiheit gar nicht so wichtig, womöglich sogar nachteilig wäre, unüberlegte Zustimmung bekommen. Sich dem entgegenzusetzen wird für die europäische Politik nicht leicht, aber nötig werden – siehe dazu Punkt 3.

1. Die Resilienz der Vergangenheit wir diesmal nicht reichen

Die Geschichte der Luftfahrt in den letzten 20 Jahren ist reich an Krisen und Rückschlägen. Auch die heimische Luftfahrt zeigte dabei immer bemerkenswerte Resilienz: Die Anschläge des 11. September 2001, SARS, Vogelgrippe, die Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009, regionale Kriege und Bürgerkriege wie der Arabische Frühling, Vulkanausbrüche. Alle diese Krisen hatten immer globale Auswirkungen, weil Fluggesellschaften ihre Produktionsmittel rasch zwischen Wirtschaftsregionen verschieben können – und müssen. Daher ist der Luftverkehr auch von regionalen Krisen fast immer global betroffen. Und das, wo doch die allermeisten Fluggesellschaften selbst in guten Jahren nur wenig profitabel sind.

Dennoch: Nach wenigen Monaten hatte sich die Luftverkehrsnachfrage regelmäßig erholt. Der Nachfrageeinbruch war mal tiefer, mal weniger tief, aber immer „V-förmig“. Ebenso regelmäßig sind einige Marktteilnehmer, vor allem Fluggesellschaften, die schon zuvor in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage waren, aus dem Markt ausgeschieden. Krisen waren ein Katalysator für die Marktkonsolidierung.

Aber COVID-19 hat eine bisher völlig unbekannte Dimension:

Der europäische Passagierflugverkehr steht fast völlig still. Am 24. März sind die Flüge in Europa laut Eurocontrol verglichen mit dem Vorjahr um 76% zurückgegangen (nach – 72% am Vortag). Weil viele der noch durchgeführten Flüge essentielle und oft lebensrettende Frachtflüge sind, ist der Rückgang der Passagierflüge noch drastischer. Der Einnahmenausfall der Fluggesellschaften und Flughäfen ist dramatisch. Laut IATA werden alleine die Fluggesellschaften weltweit Einnahmenausfälle von rund 250 Milliarden USD haben. Selbst rigoroseste Kostenreduktionen und maximale Kurzarbeit können nur Teile davon wettmachen, weil auch ohne Flugbetrieb sowohl für Fluggesellschaften als auch für

Flughäfen erhebliche Fixkosten weiterlaufen: Leasing- und Kapitalkosten für Flugzeug, Finanzierungskosten für Infrastrukturinvestitionen, Kosten dafür, Flugzeuge flugtauglich zu halten und Crews geschult und einsatzbereit. Von regulatorischen Kosten wie Entschädigung- und Versorgungskosten für Passagiere, die von Flugstreichungen wegen COVID-19 betroffen sind gar nicht erst zu reden – denn die europäischen Behörden reagieren zwar rasch bei der Einschränkung von Flügen, aber langsam bei der Anpassung der kostenintensiven europäischen Vorschriften. Damit sind alleine in Österreich rund 90.000 Personen und deren Familien betroffen, deren Jobs direkt oder indirekt mit dem Luftverkehr zusammenhängen.

Es wird aber auch keine rasche Nachfrageerholung geben, wie das bei früheren Krisen der Fall war: Das „V“ in der Wachstumskurve wird diesmal ein breites „U“ werden, denn erstmals in der Geschichte überlappen sich mehrere Faktoren:

Praktisch alle Weltregionen sind gleichermaßen, aber nacheinander betroffen – wenn COVID-19 in einer Region ausgestanden ist, beginnt die Krise in anderen Regionen erst; Die Auswirkungen auf den Luftverkehr dauern also länger.

Den Maßnahmen der Regierungen zur Eindämmung der COVID-19 Krise wird eine massive globale Wirtschaftsrezession folgen, die viele Unternehmenspleiten zur Folge haben wird. Damit wird die Geschäftsreisenachfrage länger niedrig bleiben als das bei früheren Krisen der Fall war.

Die Nachfrage nach Urlaubsreisen wird noch länger gedämpft bleiben als die Geschäftsreisenachfrage. Erstens weil die derzeitigen Maßnahmen irrationale Ängste vor dem Reisen an sich erzeugen. Zweitens weil die wirtschaftlichen Sorgen, die wegen der Wirtschaftskrise und der hohen Arbeitslosigkeit auf viele Menschen zukommen, viele zwingen werden auf Urlaube zu verzichten. Drittens weil Regierungen die extremen Kosten für die wirtschaftlichen Folgen der COVID-19 Maßnahmen nur durch erhebliche zusätzliche Besteuerung derjenigen werden stemmen können, die weniger von den wirtschaftlichen Folgen betroffen sind: Diejenigen, die ihre Jobs nicht verloren haben und diejenigen, die es in der Vergangenheit geschafft haben Rücklagen anzusparen.

2. Die europäische Luftfahrt wird stärker betroffen sein als die anderer Weltregionen

Die IATA rechnet für Europa mit Kapazitätsrückgängen von 90% im zweiten Quartal, 45% im dritten Quartal und immer noch 10% im vierten Quartal. In Asien und Nordamerika werden die Kapazitätsrückgänge mit 50% im zweiten, 25% im dritten und 10% im vierten Quartal auch drastisch, aber weniger gewaltig wie in Europa ausfallen. Weltweit wird es im zweiten Quartal 65% weniger Kapazität geben und im dritten Quartal 33% weniger. Nur in Europa werden Fluggesellschaften also voraussichtlich gut die Hälfte ihrer Einnahmen für das ganze Jahr 2020 verlieren. In anderen Weltregionen werden die Einnahmenausfälle zwar hoch, aber nicht so hoch wie in Europa sein.

Nun haben aber Fluggesellschaften weltweit, auch in Europa, eine ausnehmend dünne Liquiditätsdecke: Üblicherweise reicht die Liquidität europäischer Fluggesellschaften bei so

drastischen Einnahmenrückgängen und trotz rigoroser Sparmaßnahmen laut CAPA Analyse bestenfalls drei Monate, bei Norwegian Air sogar nur für wenige Tage. Ausnahmen sind vor allem die Ultra Low Cost Fluggesellschaften Ryanair und Wizzair, deren Liquidität aber auch nur gerade mal doppelt so lange halten sollte. Die werden aber vom vorhersehbaren Rückgang der Urlaubsreisen besonders betroffen sein.

Daher werden ohne rasche staatliche Unterstützungsmaßnahmen sehr viele Fluggesellschaften und in der Folge sehr viele Flughäfen rasch in existenzbedrohende Situationen kommen. Andere Weltregionen, vor allem China, die Golfregion und die USA werden ihre Luftverkehrswirtschaft – so wie schon in der Vergangenheit – auch jetzt wieder schneller, umfangreicher, kompromissloser und mit weniger Auflagen unterstützen. Wenn das Europa diesmal nicht koordiniert anders handhabt, werden wir eine große Zahl an Airline- und Airportpleiten in Europa sehen. Das werden aber nicht unbedingt die schwächsten Marktteilnehmer sein. Sondern diejenigen, die von ihren Staaten am wenigsten unterstützt werden. So würden aber die europäischen Fluggesellschaften rasch weiter an Marktanteilen im internationalen Luftverkehr verlieren, ein Trend der sich ohnehin seit Jahren manifestiert würde deutlich verstärkt. Das ist deswegen problematisch weil sich Europa damit noch mehr von der Fluganbindung durch Fluggesellschaften abhängig machen würde, die eben im Krisenfall nicht für Heimholungen und Versorgungsflüge zur Verfügung stehen.

3. Die Krise der europäischen Luftfahrt braucht konsequentes Handeln trotz populistischer Gegenströmungen

Kritiker der Reisefreiheit werden die Krise nützen, um ihre Argumente zu untermauern – und „unnötiges“ Fliegen hintanzuhalten. Man mag rasch eine eigene Meinung darüber haben was nötig und was unnötig ist, aber diese Meinungen werden in den meisten Fällen ziemlich unterschiedlich sein. Wenn wir aber auf die vielfältigen Wohlstandeffekte internationalen Handels, vor allem auch für die weniger entwickelten Regionen der Welt, nicht verzichten wollen, wird eine rasche Wiederherstellung internationaler Luftverkehrsverbindungen unerlässlich sein. Und die werden nur dann zu Preisen für die Wirtschaft verfügbar sein, wenn auch viele Menschen mitfliegen, deren Reise für manche unnötig erscheint.

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Autor: Peter Malanik